Der Begriff Wahrheit wird heute überwiegend so verwendet, dass damit auf die Tatsächlichkeit eines Ereignisses oder einer allgemeingültigen Erkenntnis verwiesen wird. Vom Wortursprung her und damit auch in früheren Zeiten aber hat(te) „Wahrheit“ eine andere Bedeutung: Im Althochdeutschen bedeutet „wara“ Vertrag bzw. Treue. Und das althochdeutsche „giwari“ meint „in Treue verbunden“ zu sein. (Unbeachtet bleiben soll hier die exegetisch wohl bedeutsamere Auslegung des altgriechischen Wortes für Wahrheit: „Aletheia“ als Unverborgenheit.)
Im Religiösen könnte diese Bedeutung einen erweiternden Sinn erschließen. Wenn Jesus selbstbekennend mitteilt: “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, dann wäre er also in Wahrheit in Treue mit seinem Gott und den Menschen verbunden. Mit seiner Identifikation als „guter Hirte“ scheint er das menschenbezogene Treuebündnis zu bestätigen. Und als solcher gibt er in unbedingter Treue letztlich sogar sein Leben für die Schafe, im Gegensatz zu den fremden Hirten, welche die Herde verlassen – also untreu sind – , wenn der Wolf kommt. (Joh 10,12).
Seit längerer Zeit hänge ich an dem Satz: „Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind.“ (Joh 3,21) Unter Beachtung der oben genannten Aspekte bekommt diese johanneische Aussage für mich eine neue, erweiterte Bedeutung. Demnach geht es zunächst also nicht darum, die oder eine religiöse Wahrheit zu verkünden. Es geht darum, Wahrheit zu tun. Ich kann diese Wahrheit aber erst tun, wenn ich sie erkenne als verwirklichtes Treuebündnis gegenüber meinem Lebensruf, meinen damit verbundenen Aufgaben, meinen Mitmenschen und der Kraft, aus der ich lebe. Was ich konkret tue, bleibt mir überlassen. Wichtig scheint zu sein, dass ich mein Tun nicht auf mich selbst zurückführe, dass ich somit nicht an mir selbst anhafte. Damit dieses Tun also nicht „in mir“, sondern „in Gott vollbracht“ ist, müsste es aus meiner Christusverbundenheit hervorkommen, als bereits erfahrenes göttliches Treuewirken mir gegenüber. Ich würde also das Göttliche, das in mir angelegt ist, soz. meine Christusnatur, nach außen verwirklichen. Dann käme durch diese Verwirklichung das zum Licht, was aus dem Licht stammt.
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