Wir Menschen haben anscheinend das Bedürfnis, zu den „Guten“ gehören zu wollen. Aber – und jetzt muss ich in die Ich-Form wechseln, weil ich das nur von mir selbst behaupten kann: – ich bin es nicht. Ich bin nicht gut. Und ich werde niemals gut sein. Denn, wenn ich „gut“ bin, muss es auch welche geben, die schlecht bzw. „böse“ sind. Aber diese Zuteilung beruht nur auf meinen Vorlieben und Mutmaßungen. (Natürlich gibt es verwerfliche Taten und abgründige Menschenwege, und natürlich müssen nationale und internationale Gerichte Straftaten ahnden. Aber das ist hier nicht das Thema). Dass ich nicht „gut“ bin und es auch nie sein kann finde ich in Aussagen der Bibel und anderer heiliger Schriften bestätigt: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein!“(Lk 18,19) sagt selbst Jesus. Der Kern dieser Aussage und das, was dahinter steht, findet sich auch spirituell entkernt bei Goethe und in den Ergebnissen des Milgram-Experiments.

Der Grund, warum ich dennoch dann und wann glaube, dass ich „gut“ bin hängt mit meinen Anhaftungen zusammen. Ich hänge mich an die Früchte meiner Werke, ich identifiziere mich mit ihnen. Ich glaube dann nämlich, dass die Ergebnisse meiner „guten Werke“ auf mich zurückzuführen sind und ich demzufolge „gut“ bin. Ich blende nebenbei all die „schlechten“ Ergebnisse und vor allem die vielfältigen Faktoren, die zu diesem oder jenem „guten“ Ergebnis geführt haben, aus. Und diese vielfältigen Faktoren außerhalb meiner selbst kann ich nicht überblicken; sie bleiben unerforschbar und unverfügbar. Für dieses unerforschbar und unverfügbar Wirkende verwenden religiös orientierte Menschen den Begriff „Gott“. Also ist es „Gott“, auf den die Früchte meiner Handlungen insgesamt zurückzuführen sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ich, um Anhaftungen zu vermeiden, all meine Handlungen „Gott“ überantworten sollte. Ich übergäbe „ihm“ nicht nur mein Leben, sondern auch mein Tun, im Vertrauen darauf, dass daraus – und nur aus „seiner“ Hand –  Gutes erwächst.

Diese Übergabe entbände mich nicht von meiner Verantwortlichkeit für mein Tun und Lassen aber meinen Narzissmus von seiner Unbedingtheit.