Vor ca. 600 Millionen Jahren gab es eine bedeutende Revolution im Evolutionsprozess. Es entstand die sexuelle Fortpflanzung. Vorher vermehrten sich Lebewesen, indem sie sich in zwei Teile aufspalteten. Das war effizient und unkompliziert, bedeutete aber, dass die Nachkommen Klone des „Elternteils“ mit identischem genetischen Material waren. Mit dem Beginn der sexuellen Fortpflanzung mussten Lebewesen ein anderes Lebewesen suchen und sich mit ihm vereinigen. Das war aufwendiger, hat sich aber für höherentwickeltes Leben als neues Modell durchgesetzt.

Mit der geschlechtlichen Vermehrung entstanden die Liebe und der Tod.

Der Fortpflanzungsvorgang erfordert Anziehungskräfte, im Letzten die Liebe. Das Eine will lieben, braucht aber den Zweiten. Aus Zwei entsteht Eins. Der Preis dafür ist der Tod, das Zerfallen, Auseinanderbrechen des Lebens und die existenzielle Angst. Wozu dieses aufwendige, evolutionäre Desaster (fragt sich vielleicht auch der ein- oder andere Paartherapeut)?

Jesus nennt seinen Gott Abba. Ins Deutsche übersetzt bedeutet das Vater, Papa, Väterchen. Indem wir Christen uns nur auf die Übersetzung beziehen, wollen wir die familiäre Nähe zwischen „Sohn“ und „Vater“ beschreiben. Damit fixieren wir ein anthropomorphes, also menschenähnliches Bild Gottes. Das ermöglicht einesteils die personale Gottesbeziehung und, damit verbunden, den schönen Begriff der menschlichen Gotteskindschaft. Andererseits können dadurch natürlich auch patriarchale religiöse Strukturen gerechtfertigt werden.

In der jüdischen Zahlen- und Buchstabenmystik wird Abba in einem anderen Zusammenhang gesehen. A und B sind die ersten beiden Buchstaben des hebräischen Alphabets, Alef (1) und Beth (2). Das Wort A-B-B-A (1-2-2-1) zeigt den kosmischen Schöpfungsvorgang und spirituellen Menschenweg von der Einheit in die Zweiheit und von der Zweiheit zur Einheit. Die göttliche Liebe, so lässt sich deuten, ist die Triebkraft, welche die in die Zweiheit gesonderte und gebrochene Einheit letztlich zusammenfügt.

Wir wissen nicht, welche Bedeutung(en) der Jude Jesus mit dem Wort Abba verband. Aber wir können doch annehmen, dass es ihm um die Heilung des menschlichen Gebrochenseins in und durch ABBA ging. Er wusste, dass die Einheit des göttlichen Ursprungs, das Reich Gottes, schon immer da war und da ist und dennoch verwirklicht werden muss. Und zu dieser Verwirklichung hat er sich – gegen seinen Willen – selbst zerbrechen lassen. Wenn, wie uns überliefert ist, er sich wirklich in Liebe hat zerbrechen lassen, dann könnte es nicht anders sein als dass in diesem Menschen Gott selbst (wenn es stimmt, dass Gott Liebe ist) das gebrochene Leben zusammenfügt und ins göttliche Leben führt.