Das griechische Wort für sündigen ist „hamartanein“ und bedeutet, „das Ziel verfehlen“ und auch „vom Punkt wegkommen“. Das deutsche Wort „sondern“ (mittelhochdeutsch: sundern) im Sinne von „abspalten“ drückt die Nähe zum Wort „Sünde“ (mittelhochdeutsch: sunde) in der griechischen Bedeutung noch gut aus.
Sünde wäre demnach zunächst keine moralische Kategorie, die uns erlaubt, die Welt in Gut und Böse einzuteilen und sich selbst und andere Menschen zu verurteilen. Sondern sie ist die Beschreibung eines Zustandes des Verlustes von Einheit, (was ja auch der „Punkt“ als Symbol der Einheit meint). Aus dieser Sonderung und dem Zustand des Abgespalten-Seins entstehen Leid und Unheil, und Menschen begehen Fehler und werden schuldig. Das ist bedauernswert und oft genug auch tragisch aber auch kaum zu vermeiden, da wir alle mehr oder weniger getrennt von uns selbst, von den Mitmenschen, von der Natur und von der alles durchströmenden Lebensquelle, der göttlichen Gegenwart, unser Leben fristen.
Religion müsste hier ansetzen, indem Menschen in ihrer Zerrissenheit und mit ihrer Schuld bedingungslos Beistand und Aufnahme finden, unabhängig davon, woran sie glauben. Nicht die Moral oder der „richtige“ Glaube wären das Eingangstor in religiöse Gemeinschaften, sondern die Bedingungslosigkeit und Bedürftigkeit. Damit wäre ein Anfang gemacht, und die in der Sonderung oder Einsamkeit feststeckenden Menschen könnten die Erfahrung des voraussetzungslosen Angenommenseins machen.
Die christlichen Kirchen können diesbezüglich immer noch viel von dem Zimmermannssohn aus Galiläa, auf den sie sich berufen, lernen. Dieser sagt ohne Vorbedingung zum damals als Gauner geltenden Zöllner Zachäus: “Ich muss heute in deinem Haus einkehren“. Zachäus bekommt nicht zu hören: “Werde zunächst rechtschaffen und glaube an die Thora, dann komme ich auch zu dir“.
Es geht anscheinend auch ohne eine absondernde Sündentheologie und ohne Herrschaftswohlwollen. Bedingungslose Liebe reicht, so scheint es, aus. Auf sie muss eine Religion gegründet sein, wenn „Sünde“ überwunden werden soll.
Klingt einfach. Aber vielleicht ist das die schwerste Aufgabe überhaupt, für Religionsgemeinschaften und für jeden von uns: diese Bedingungslosigkeit zu leben.
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