Auferstehung – wohin?

In dem Film Don Juan de Marco erzählt ein Psychiatrie-Patient seinem Therapeuten die Geschichte seines Lebens – die Geschichte der Liebe des Don Juan. Der Therapeut, von Marlon Brando gespielt, lässt sich auf die Geschichte ein, auch wenn er weiß, dass die Erzählungen nicht der objektiven Wahrheit entsprechen, sein Patient ist nicht Don Juan. Aber diese Geschichte der Liebe seines Patienten spricht ihn persönlich an. Sie hat Auswirkungen auf sein eigenes Leben und die Beziehung zu seiner Frau. Er lauscht den Erzählungen seines Patienten mit verstärktem Interesse und beginnt sich zu verändern. Er sucht wieder das Gespräch mit seiner Frau und es kommt ein neuer Frühling in diese Beziehung.
„Du bist Don Juan“, sagt der Therapeut am Ende der Behandlung. „Deine Geschichte stimmt“, will er damit sagen, „diese Geschichte der Liebe ist auch irgendwie meine Geschichte, sie ist wahr“.

Eine Geschichte, die „objektiv“ gesehen nicht stimmt, verändert ein Leben.

Die größte Geschichte aller Zeiten ist für mich die Geschichte Jesu. Man weiß heute, dass der Jesus der Evangelien nur sehr bedingt mit dem historischen Jesus übereinstimmt. Die Evangelien deuten, interpretieren und theologisieren die Überlieferungen von Jesu Leben. Es ist für mich nicht entscheidend, ob dieser Jesus als Mensch „wirklich“ genau so gelebt hat. Er lebt in meinem Herzen, wahrscheinlich durch das Hören der Evangelien oder durch die Musik J.S. Bachs und andere in ihren Glaubensäußerungen überzeugende Menschen, vielleicht sogar unabhängig davon.
Es gibt eine Wahrheit, die jenseits der Gegenständlichkeit pulsiert. Wir können sie nicht direkt mit unseren Sinnen wahrnehmen. Diese Wahrheit wartet auf das Sehnen unseres Herzens, und sie kann auch nur mit den Augen und Ohren des Herzens „wahr“-genommen werden. Die Jesus-Geschichte ist wahr, weil sie mein Leben beeinflusst und zum Besseren wendet, so wie das Leben vieler Millionen Menschen jetzt, in der Vergangenheit und in der Zukunft.

Eine Gesellschaft braucht transzendente Geschichten. Neil Postman behauptet sogar in seinem medienkritischen Buch Wir informieren uns zu Tode: „Ohne Erzählungen von transzendentem Ursprung kann keine Kultur wirklich gedeihen“. Ich glaube, das stimmt. Wir brauchen transzendente Geschichten aber auch persönlich, damit wir unser Leben in diese Geschichten integrieren und letztlich auch verstehen können.
Ich glaube, wir müssen die Jesus-Geschichte immer wieder hören und weitererzählen, auch wenn wir sie letztlich nicht „rational“ verstehen oder erklären können. Sie zeigt uns, wie wir als Mensch eigentlich gemeint sind, und wie Gott ist. Und sie hilft uns glauben, dass auch wir nicht dem Nichts überantwortet werden.

Es gibt eine äußere, direkt wahrnehmbare und eine innere Wirklichkeit. Ohne die äußere Wirklichkeit verlieren wir die Bodenhaftung. Ohne die innere können wir uns nicht dem Geheimnis unseres Lebens nähern. 
Es gibt eine große Verwirrung, wenn diese beiden Ebenen nicht auseinander gehalten werden.
Mit der äußeren Wirklichkeit regeln wir unser tägliches Leben. Sie hilft uns u.a. wissenschaftliche Erkenntnisse und systematisches Wissen zu erwerben.
Mit ihr kommen wir aber dem inneren Kern unseres Lebens nicht näher. Die Fixierung auf die materielle und gegenständliche Welt führt im Bereich des Religiösen zur Dogmatisierung und dem Austrocknen der Lebensquelle. Die Auferstehung Jesu z.B. als objektive Wiederbelebung einer Leiche darzustellen oder zu verkünden kann heute im günstigsten Fall nur noch als Banalisierung wahrgenommen werden.
Mit der inneren Wirklichkeit, die es auch überindividuell („Das Reich Gottes“) gibt, kann man demnach nichts beweisen. Man kann sie nicht in Dogmen pressen. Man kann sie nicht in eine „reine Lehre“ destillieren, oder mit ihr Glaubenskämpfe führen.
Aber wenn wir uns ihr stellen, können wir erfahren, wer wir wirklich sind und welche Aufgaben uns gestellt sind.

Die Geschichte Jesu ist der Rahmen, in dem unser Leben auf eine sonst nicht zu bestimmende Art erkannt und gelebt werden kann. Diese Geschichte ist wirklich, weil sie wirkt bzw. zumindest wirken kann. Und wenn sie in uns nachwirkt, dann lebt er fort, dann ist er nicht tot. Dann steht er in uns auf, um uns im Leben aufzurichten. Dann ist diese Geschichte wahr.
Und seine „Auferstehung“ vermittelt uns, dass auch etwas von uns nach dem Tod weiterlebt. Unser Leib kehrt zur Erde zurück, aber unsere Seele bzw. unser Herzensgeist lebt weiter. Nicht nur in unseren Nächsten, die sich an uns erinnern. Auch und besonders in dem, der uns näher ist, als wir uns selbst. „In ihm leben wir und sterben wir“ heißt es im Actus Tragicus, einer Bachkantate. Niemand geht verloren, im Leben nicht, im Sterben nicht und auch im Tod nicht.