Wir Menschen haben grundsätzlich das Bedürfnis, uns das Leben verfügbar zu machen. Dagegen ist zunächst mal nichts zu sagen. Wir sollten in der Lage sein, uns viele Bereiche und Dinge im Leben zugänglich machen zu können; das erzeugt, wie man heute so schön sagt, Selbstwirksamkeit. Auch trägt der Wunsch nach Verfügbarkeit wesentlich zum wissenschaftlich, technischen Fortschritt weltweit bei. Gleichzeitig kann mit jeder neuen Stufe des Verfügbar-Machens ein Teil der Lebensunmittelbarkeit und oft genug auch der Lebensgrundlagen verloren gehen. Wenn wir schlecht schlafen z.B. und dies langfristig mit Schlafmitteln in den Griff zu bekommen versuchen, entzieht sich uns der natürliche Schlaf immer mehr. Wenn wir einen Menschen besitzen wollen, wird sich dieser dem Besitzanspruch immer mehr entziehen, emotional oder durch Trennung. Das Leben kann sich uns also auch entziehen, wenn wir es uns verfügbar machen wollen.

Vielleicht ist das Modell des biblischen Gottes so unattraktiv, weil er und seine Gaben sich der eigenen Verfügung weitestgehend entziehen (Siehe Jes 55,8 und Mt 16,25). Deshalb sind Selbsterlösungswünsche und –verfahren so beliebt; der Markt dafür ist gefüllt und die entsprechenden Produkte begehrt. Sie verlangen nicht mehr, als sich auf das Konzept einer bestimmten Denkrichtung oder Verfahrensweise einzulassen. Dass sie, wie z.B. das positive Denken, Menschen zu Sklaven machen können, wird oftmals erst durch Leidensdruck und nach viel Vergeblichkeit bemerkt. Dennoch sind solche Methoden und Heilskonzepte oft ein wichtiges Durchgangsstadium auf der Suche danach, was wirklich Halt und innere Freiheit bringt. An ihnen erfahren wir nämlich die Macht der Dämonen, also unserer inneren unreinen Geister (Gedanken). Sie werden wach und aktiv, wenn wir das Leben über Methoden und Konzepte existenziell in den Griff bekommen wollen – weil die Ambivalenz ihrer „richtig-falsch-Logik“ unlösbare Widersprüche erzeugt. Wer ihnen folgt, kann nur in die Irre geführt werden, da sie unstet und substanzlos sind. Dementsprechend kann unstetes Verhalten ein Zeichen für einen ungeordneten Geist sein.
Das Pendant zu den Selbsterlösungsverfahren spiritueller, esoterischer oder psychologischer Art ist eine rigide, ausgetrocknete Religion. Auch hier gibt es Priester und Propheten, die genau wissen, was richtig ist, wer Gott ist und was er will (auch der „Wille Gottes“ unterliegt den o.g. Aporien). Sie beziehen ihre Macht aus der ihnen zugesprochenen Autorität, den einzig richtigen Weg zum Heil zu wissen und zu verkünden. Sie gehören zu einem System, das der Folgsamkeit einen höheren Stellenwert zumisst als der eigenen Erfahrung. Wenn man ihrer Autorität folgt, tappt man in die Falle der Fremdbestimmung mit den geschilderten Begleiterscheinungen.

Aber was ist die Alternative?
Annehmen, spüren und vertrauen!
Der erste Schritt ist das Annehmen der Vergeblichkeit meiner Verfügbarkeitswünsche und des Leides, das sie bei mir oder anderen verursachen. Ich akzeptiere auch meine Selbstsucht und die daraus erwachsenen Fehler. Ich akzeptiere meine Abhängigkeit von Verfahren, Personen und Systemen und werde mir bewusst, dass ich in dieser Falle gefangen bin. Annehmen heißt auch, mein ständiges Kontrollverhalten wohlwollend anzuschauen. Ich ziehe also einen großen Kreis der Akzeptanz um mich, meine Unfähigkeiten, meine Ohnmacht und um mein Leiden.

Der zweite Schritt ist, zu spüren. Welches Wort, welcher Mensch, welche Musik, welches Bild usw. berühren mich in meinem Inneren so, dass mir Kraft und Trost zuwachsen? Und diesem Impuls darf ich folgen. Mit jedem dieser Impulse und mit jedem Folgeschritt komme ich ein wenig heraus aus meinem Sklavenhaus. Und wenn ich mal wieder festhänge und nichts zu spüren glaube, sage ich: „Gott, hilf mir und zeige mir den nächsten Schritt!“. Man muss nicht religiös sein oder eine Gottesvorstellung haben. Es reicht, diesen Satz zu sagen und damit, sich die eigene Ohnmacht einzugestehen. Dann öffnen sich Türen. (Natürlich gilt die Vorrangstellung des eigenen Empfindens, d.h., wenn diese Anregung innerlich aneckt, darf man sie getrost vergessen. Grundsätzlich gilt natürlich immer: diese Seite wegklicken und meine Überlegungen ignorieren, wenn sie persönlich nicht passen.)

Als drittes gilt es zu vertrauen, dem Prozess, in dem ich mich befinde, meinem eigenen Gespür als Richtschnur und dass jeder kleine neue, innerlich bestätigte Schritt in eine bessere Zukunft führt. Ich werde nicht wissen, wohin ich insgesamt geführt werde; das kann ich, wenn überhaupt, erst im Rückblick eines zu Ende gegangenen Weges erkennen. Das große Ganze meines Weges aus der Abhängigkeit ist, wie mein Leben, auch meiner Verfügbarkeit entzogen. Ich vertraue dem kosmischen Gesetz der inneren Resonanz, also dem Berührt-Werden und dem Angesprochen-Sein bzw. als religiöser Mensch der göttlichen Führung und Fügung.

Diesen Weg zu gehen bedeutet nicht, dass alles leicht wird. Er kann mit großen Entbehrungen und Anstrengungen verbunden sein. Aber er führt zu Lebendigkeit und zu Wahrhaftigkeit, da die eigene Wesensnatur im Leben zum Ausdruck kommt.

Foto: Markus Goosens