Diese Frage beschäftigt mich seit 25 Jahren mit wechselnden Antworten. Zur Auswahl stehen u.a.
a) der historische Jesus (von dem wenig bekannt ist und auf den man sich somit kaum beziehen kann)
b) der „reine“, aber doch schon gedeutete, Jesus der Evangelien
c) der christologisch-theologische Jesus (inclusive der Messiaszuschreibung und Instrumentalisierung im Opfertodmythos)
d) der kirchlich besetzte und zur eigenen Machterhaltung verfügbar gemachte Jesus, z.B. als Sünden bestrafender Oberinspektor oder als klerikaler Hierarchiebegründer
e) der innere Jesus als Seelenheiland oder als das wahre Selbst (Atman)
f) der Jesus der bachschen Passionen, Motetten und Kantaten, der durch diese himmlische Musik einen unmittelbaren Zugang in den menschlichen Herzensraum zu finden scheint.
g) der kosmische, überzeitliche, göttliche Jesus als „Christus“ (wie im letzten Blogbeitrag zum Prolog im Johannesevangelium vorgestellt)
Natürlich gibt es Überschneidungen und Abgrenzungen, d.h. der Jesus der Evangelien hat sowohl in der Befreiungstheologie wie auch im katholischen Katechismus eine theologische Fundierung gefunden, aber jeweils in einer eigenen Art und auf einer ganz eigenen Intention beruhend.
Bei mir selbst hat „er“ seine Geburtsstunde in der Musik Bachs erlebt und seine Ausgestaltung durch die mystischen Traditionen aber auch durch die christliche Religion und Kultur gefunden. Das ist natürlich eine individuelle Variante, die keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann; aber das können die anderen Varianten auch nicht. Vielleicht ist dieser Jesus der, den man in ihm sieht bzw. den man braucht. Oder etwas theologischer gefärbt ausgedrückt: der, als der er sich bei einzelnen Menschen oder Gruppierungen offenbart; allein das wäre schon unergründlich. Im Sinne der Gemeinschaftsbildung einer Religion braucht es natürlich eine theologische Bestimmung bzw. Deutung dieser Person. Aber genauso wichtig ist die Möglichkeit der Neu- bzw. Umdeutung, wie sie in den vergangenen 20 Jahrhunderten durch viele „Heilige“, Ketzer, Mystikerinnen und Mystiker vorgenommen wurde.
Hab also den Mut, Dich da berühren zu lassen, wo sich in dir und um dich ein Raum öffnet für „ihn“. „Er“ ist wirklich da. Ein Raum und eine Begegnung, die geschützt sind vor den Zugriffen der besserwissenden Abergeister in und außerhalb von dir. Ein Raum, in dem dir ein Platz angeboten wird, in dem du da sein darfst, neu werden, wachsen und reifen kannst. Du reifst auch an den vielen Bildern von diesem Jesus, durch die du hindurch gehst.
Das letzte Geheimnis, das diesen Bildern zugrunde liegt, kannst und musst du nicht ergründen.
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