Versuch einer Annäherung

Die Frage nach dem Leid sucht eine Antwort. Aber kann darauf eine eindeutige Antwort gegeben werden?

Es gibt zum einen Leid, das verhindert werden sollte, indem wir als Menschen aktiv werden zum Wohle anderer und zu uns selbst. Dann gibt es Leidensformen, die mit einem einfachen Eingriff, z.B. medizinischer oder therapeutischer Art, gelindert oder „geheilt“ werden können. Um diese Formen soll es hier nicht gehen.

Mir geht es um das „treue“ Leid und Kreuz, um das „Crux Fidelis“, das Menschen immer mal wieder oder langfristig begleitet. Um das Leid, das im Nachhinein, wenn dieses Leiden überwunden wurde, als Zeichen erkannt werden konnte. Als Zeichen einer lebendigen und heilenden Kraft, die uns herausholen will aus unseren Verstrickungen und uns führen will zu unserem wahrhaftigen Selbst und den mit ihm verbundenen, ganz eigenen Lebensaufgaben. Einer Instanz, die uns zu dem Menschsein führen will, das schon immer in uns angelegt war, aber bisher noch nicht gelebt werden konnte.

Dieses treue aber lästige und bittere Kreuz zeigt sich in unerfüllten Lebensumständen, in zerbrechenden Beziehungen, in wechselnden oder beständigen körperlichen und seelischen Symptomen, in unserem Schuldigwerden, in Misserfolg und Missachtung – überhaupt in allem, was Menschen herausfordert, kränkt und auch zur Verzweiflung führen kann. Und das man loswerden will.

Aber es lässt sich nicht abschütteln. Es bleibt und entzieht sich den Möglichkeiten unserer Beeinflussung. Es fordert uns irgendwann, als ersten Schritt, heraus, es zu akzeptieren und seine Da-Seins-Berechtigung anzuerkennen. Und wenn diese Hürde genommen ist, kann es uns mitnehmen in die Achtsamkeit für das Gegenwärtige. Für das, was parallel und aktuell zum störenden Symptom „passt“. Für das, was das Symptom als Zeichen für etwas anderes, für das „Edle, Blühende, Fruchtbringende“ unseres Lebens, nach und nach erkennen lässt. Für die tiefere, ganz eigene Bedürftigkeit, die wir uns zuzugestehen und zu leben bisher nicht gewagt haben.
Es erfordert Geduld, weil diese Form der Achtsamkeit sich erst entwickeln muss. Und es erfordert, alle Formen der Rationalisierung und Beurteilung sein zu lassen, aber auch, scheinbar Widersprüchliches zu integrieren.

Und wenn wir so weit gekommen sind (oder vielleicht auch schon vorher) bietet uns diese Kraft an, uns zu führen auf dem weiteren Weg in den inneren Ruf und damit aus dem Leid heraus. Und das könnte die größte Herausforderung dieses Kreuzweges sein: sich dieser Kraft anzuvertrauen, die uns über und durch das Leid aus dem Leiden herausführen will.

Die Antwort ist mehrdeutig, sogar paradox, und erschließt sich erst im Lebensvollzug: Wir überwinden dieses treue Leid nicht, indem wir es bekämpfen, sondern indem wir es annehmen, tragen, durchschreiten und zum Anlass nehmen, uns zu unserem Wesen führen zu lassen, das wir endlich in diesem Leben verwirklichen dürfen.