auf dem Weg zur Quelle

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… im Werden

Gibt es etwas, was Ihnen die Hoffnung nehmen kann, so einstens in Ihm, in dem Fernsten, Äußersten zu sein? Feiern Sie, lieber Herr Kappus, Weihnachten in diesem frommen Gefühl, daß Er vielleicht gerade diese Lebensangst von Ihnen braucht, um zu beginnen; gerade diese Tage Ihres Überganges sind vielleicht die Zeit, da alles in Ihnen an Ihm arbeitet, wie Sie schon einmal, als Kind, atemlos an Ihm gearbeitet haben. Seien Sie geduldig und ohne Unwillen und denken Sie, daß das wenigste, was wir tun können, ist, Ihm das Werden nicht schwerer zu machen, als die Erde es dem Frühling macht, wenn er kommen will.
Und seien Sie froh und getrost.

R.M. Rilke, Brief an Xaver Kappus vom 23. Dezember 1903

Der Kommende…

Warum denken Sie nicht, daß er der Kommende ist, der von Ewigkeit her bevorsteht, der Zukünftige, die endliche Frucht eines Baumes, dessen Blätter wir sind? Was hält Sie ab, seine Geburt hinauszuwerfen in die werdenden Zeiten und Ihr Leben zu leben wie einen schmerzhaften und schönen Tag in der Geschichte einer großen Schwangerschaft? Sehen Sie denn nicht, wie alles, was geschieht, immer wieder Anfang ist, und könnte es nicht Sein Anfang sein, da doch Beginn an sich immer so schön ist? Wenn er der Vollkommenste ist, muß nicht Geringeres vor ihm sein, damit er sich auswählen kann aus Fülle und Überfluß? Muß er nicht der Letzte sein, um alles in sich zu umfassen, und welchen Sinn hätten wir, wenn der, nach dem wir verlangen, schon gewesen wäre?

R.M. Rilke, Brief an Xaver Kappus vom 23. Dezember 1903

Das kleine Ich

Ich kam allein heraus auf meinem Weg zum Stelldichein. Doch wer folgt mir da in stiller Finsternis?
Ich weiche aus, um seine Gegenwart zu meiden, doch kann ich ihm nicht entkommen.
Mit seinem Prahlen wirbelt er den Staub der Erde auf; er fügt jedem Wort, das ich sage, seine laute Stimme hinzu.
Er ist mein kleines Ich, mein Herr, der keine Scham kennt; ich aber schäme mich, mit diesem Gefährten an deine Tür zu kommen.


Rabindranadth Tagore, aus dem Gitanjali

Verloren und gefunden

Als ich an
Dich
mein Herz verlor,
verlor ich auch
meinen Verstand.

Ich fühlte mich
unendlich frei
und doch zutiefst gebunden.

Ich fühlte mich
endlich verloren
und hatte satt gewonnen.

Ich schwebte über der Erde
und stand doch mit beiden Füßen auf dem Boden.

In mir spielte eine Melodie,
und doch spürte ich eine tiefe Ruhe.

Ich hatte mich verloren,
und fand mich wieder
in Dir.

Immanuel Jacobs

A-Handlung

Ich glaube, dass Krankheiten Schlüssel sind, die uns gewisse Tore öffnen können. Ich glaube, es gibt gewisse Tore, die nur Krankheit öffnen kann. Es gibt jedenfalls einen Gesundheitszustand, der uns nicht erlaubt, alles zu verstehen. Vielleicht verschließt uns die Krankheit einige Wahrheiten, ebenso verschließt uns die Gesundheit andere.

André Gide, Literaturnobelpreisträger

Verzweifelt und Getrost

Nicht einer kann von den Erschaffenen allen,
nicht einer, Gottes je versichert sein.
Nur wenn sie immer wieder aus ihm fallen,
dann fallen sie in sein Gesetz hinein.

Denn die ihn haben, haben ihn mitnichten,
den fürchterlich geheimnisvollen Geist.
Doch die ihn tief in sich zugrunde richten,
vielleicht sind sie es, die er an sich reißt.

Die Qualen, die allnächtlichen, verbürgen,
daß er den Abgrund ihrer Seelen mißt.
Und reißt sie an sich, um sie zu erwürgen,
mit einem Tode, der das Leben ist.

Manfred Hausmann

 

 

 

 

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